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#metoo: Ich auch – Und jetzt?

Der Hashtag #metoo wurde in der vergangenen Woche ziemlich durch die (sozialen) Medien geprügelt. Das war gut und wichtig. Aber das reicht noch lange nicht.

Ich saß diese Woche nach der Arbeit einer wunderbaren Frau gegenüber. Zwischen uns zwei Gläser Wein. Und wir redeten über #metoo und die Dinge, die uns so passiert sind und die „#metoowürdig“ waren.

Sie war am Bahnhof, es war schon spät und sie war allein. Plötzlich stand ein Mann vor ihr, vielleicht betrunken, vielleicht nicht. Er sagte kein Wort. Als er seine Hose vor ihr runterließ. Sie lief weg und überlegte, was sie tun sollte. Sicher war nur, dass etwas getan werden musste. Also wandte sie sich an einen Sicherheitsbeauftragten am Bahnhof und erzählte ihm, was ihr gerade passiert war.

Und der sagt:

Wenn man sich auch so anzieht …

Worüber wir reden müssen

Liebe Männer:

Wir laufen immer noch gegen Wände. Viele Frauen, vielleicht sogar jede – irgendwann einmal in ihrem Leben. Es passiert etwas. Ein Satz, eine Geste, eine Berührung dort, wo man nicht einfach so berührt werden sollte. Gewalt möglicherweise.

Man weiß ganz instinktiv: Das, was hier passiert ist, ist nicht in Ordnung. Es fühlt sich nicht gut an. Es macht uns klein, etwas in einem drin, zieht sich ganz fest zusammen. Duckt sich weg. Gräbt sich ein.

Man fragt sich: Warum ist mir das passiert?

Und dann ist es nur noch ein Katzensprung hin zu: Was habe ich getan, dass es so weit kam? Und: Bin ich selbst schuld?

Entweder man begräbt das Erlebnis tief drin, im Herzen. Dort wo es dunkel ist. Hermetisch abgeriegelt. Wo das Erlebnis langsam vor sich hinfault, gerade schlimm genug, um uns ab und an Bauchschmerzen zu machen.

Oder man fasst sich ein Herz und redet. Mit jemandem, von dem man hofft, dass er hilft. Dass er wenigstens versteht.

Und dann perlt man einfach ab. Wie ein Regentropfen auf einer kalten Fensterscheibe.

Du kommst nicht rein. Und vor dir ist kaltes, hartes Panzerglas, durch das dich gleichgültige Augen ansehen.

Ja. #metoo

Nein, es ist kein Kompliment, wenn dich mein Hintern anspricht

Vor kurzem wurde das Publikum darauf hingewiesen, dass gleich eine „sehr junge und sehr schöne“ Politikerin sprechen werde. Die Politikerin war erschüttert und machte ihrem Ärger öffentlich Luft. Und kassierte einen Shitstorm.

Es sei doch nur ein Kompliment gewesen.

Aber stell dir mal vor.

Du schaffst etwas, du willst etwas sagen, etwas in die Hand nehmen, hast einen Auftrag. Du willst etwas mitteilen, das wichtig ist und größer ist als du. Und bevor du Luft holen kannst, sagt jemand vor Publikum über dich:

Seht mal, das niedliche kleine Persönchen. Ist es nicht entzückend?

Wie wird das Publikum euch jetzt sehen? Wird es auf eure Message hören oder milde lächelnd beobachten, wie drollig ihr ausseht, wenn ihr sprecht?

Oder stell dir mal vor.

Du stehst an der Bar und ein älterer Mann stellt sich hinter dich. Kommt nah, sehr nah. Eine Hand berührt deinen Hintern, greift zu, lässt keinen Zweifel daran, dass diese Berührung nicht absichtlich passiert ist. Und der alkoholschwangere Atem an deinem Ohr formt die Worte: „Netter Arsch.“

Du drehst dich um, erhebst die Stimme, sagst, dass du das nicht willst.

Und er sagt:

Mach dich mal locker! Ist doch ein Kompliment!

Und:

Wenn du willst, kannst du ruhig auch an meinen Hintern fassen. Ich hab damit kein Problem.

Aber ich.

Ich entscheide selbst, wen ich anfassen will. Und wer mich anfasst.

Es ist kein Kompliment, wenn du meinen Körper begrapschst. Es ist ja auch kein Kompliment, wenn ich etwas stehle, was dir gehört, weil es mir so gut gefällt. Würdest du dich geschmeichelt fühlen, wenn ich dein Auto kurzschließe und damit abhaue, weil es so ein megageiler Schlitten ist?

Eben.

Mein Hintern gehört mir. Meine Brüste auch. Mein Körper und alles, was ich bin. Gehört zunächst mir ganz allein. Und ich schenke dir etwas, wenn ich es will. Meinen Körper, meine Zeit, meine Freundschaft, meine Liebe.

Aber nur dann, wenn ich es will.

Du darfst nichts davon einfach nehmen, weil es dir gefällt.

Und du hast nicht das Recht, mein Licht zu dämpfen, indem du mich verniedlichst oder auf mein Aussehen ablenkst.

Ich will genau so strahlen dürfen, wie du auch. Und wenn ich hell leuchte, dann lass mich leuchten und hab nicht gleich Angst davor, unsichtbar zu werden.

Ich will mehr sein, als mein Aussehen.

Genau wie du auch.

Was #metoo nicht kann

Liebe Frauen:

Es ist gut über #metoo zu reden. Weg von der selbstauferlegten „Ich bin wohl selbst schuld“-Isolationshaft zum mutigen „Mir ist Unrecht widerfahren“-Schritt.

Aber.

Jetzt nicht aufhören.

#metoo verbreitete sich so schnell so weit, weil der Hashtag so anschlussfähig ist. Fast jeder hätte ihn verwenden können. Und fast jeder weiß das. Auch die Männer.

Wer hat nicht schon mal mit den Kumpels über die neue „Tussi“ von einem aus der Clique geredet? Wer hat nicht schon die Muckis spielen lassen, gerade in der Pubertät, wenn man eh 24/7 nur an Sex denkt? Wer hat nicht schon mal mit seinem neuesten „Aufriss“ geprahlt? Oder jemanden gehört oder gesehen, der das tat?

Dass es Sexismus in Hülle und Fülle gibt, ist kein Geheimnis. Und wer behauptet, das war ihm nicht klar, der lügt.

Vielleicht – ich tue mich schwer, aber vielleicht – hielten manche es nicht für so schlimm, einen Klaps auf den Po zu verteilen oder zu bekommen. Vielleicht gingen manche davon aus, dass „Du bist schön“ immer unter allen Umständen ein Kompliment ist, über das man sich freut.

Aber niemand geht durch diese Welt und bekommt nichts davon mit.

#metoo hat vielleicht gezeigt: Ja, es sind viele, tatsächlich. Sexismus gibt es nicht nur in Hollywood. Tatsächlich.

Aber #metoo allein belässt die Frauen in der Opferrolle.

Welche Reaktion erwarten wir?

„Ich wurde auch sexuell genötigt/belästigt/missbraucht.“ – „Oh, du Arme.“ ?

Was nach #metoo nicht passieren wird

Werden die Männer nun schockiert ihr eigenes Leben gründlich überdenken und fortan hochsensibel durchs Leben gehen und andere Männer am Kragen packen, wenn sie sexistisch sind?

Vielleicht ja, vielleicht nein. Vielleicht würden sie genau das tun, was sie immer getan haben (oder nicht).

Wahrscheinlich halten sich die wenigsten Männer für das Problem. Schlimm, dass das so vielen Frauen passiert, aber ich mache das ja nicht. So vielleicht. Und vielleicht stimmts, vielleicht aber auch nicht.

Aber ein jahrhundertealtes patriarchales System voll eingefahrener Denkweisen, Weltanschauungen und Gefühlen von Gut und Richtig, schafft sich nicht plötzlich von allein ab, weil eine Vielzahl von Frauen laut ausspricht, dass ihnen Unrecht widerfahren ist – so bitter es ist.

Es ist ein erster Schritt. Sich einzugestehen, dass da etwas falsch läuft und einem etwas widerfahren ist, was schlimm, übergriffig und nicht die eigene Schuld war. Und das dann auch zu sagen.

Aber das kann erst der Anfang sein.

#metoo verleitet zur Passivität.

„Du hast mir was angetan, das mich verletzt hat. Und jetzt mach‘ mal. Machs wieder gut. Entschuldige dich wenigstens.“

Wir werden mehrheitlich Schulterzucken ernten und ratlose Mienen.

Deswegen liegt der Ball noch immer bei den Frauen.

Sie müssen sich den Raum nehmen, aus dem man sie verdrängt hat. Sie müssen die Stimme wieder finden, wenn man sie unterbrochen hat. Und sie müssen sich groß machen, wo man sie niederdrückt.

Und weiter reden.

Jetzt erst recht.

 

 

 

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