Der Fahrer lässt unseren Jeep scheinbar ziellos über die Dünen springen, immer näher hin zu den „roten Bergen“, wo wir ein Beduinendorf besuchen wollen. Es ist ein einfacher Handel: Wir erhalten Einblick in das Leben der Beduinen, dafür geben wir ein bisschen Geld. Dennoch fühle ich mich seltsam, wie ein Eindringling. Warum sonst haben sich die Beduinen ihre alten Gebräuche bis heute erhalten und leben abseits von jeglicher Zivilisation, wenn sie nicht eigentlich unter sich bleiben wollen?
Unser Dolmetscher und Reiseleiter Hamid ist jedoch guter Dinge. Der junge Ägypter mit Hipster-Brille dreht das Radio lauter, singt begeistert den arabischen Text des lebhaften Songs mit, während wir – eine Gruppe von sechs erwachsenen Europäern – im hinteren Bereich des Jeeps auf unseren Bänken im Rhythmus der Dünen auf und ab hüpfen und uns etwas ängstlich an den gehäkelten Sitzbezügen festhalten.
Wir passieren die roten Berge, die links und rechts von uns wie zwei Wächter aufragen. In der Senke, die sich hinter ihnen befindet, duckt sich das Beduinendorf in die Wüstenlandschaft. Es ist kaum mehr als eine Ansammlung verschiedener Hütten aus geflochtenen Strohmatten und Holz und offenen Ställen für das Vieh – Kamele und Ziegen. Für die Bespaßung der Touristen steht eine Staffel Quads bereit. Besuchern Zutritt zu gewähren scheint ein lukratives Geschäft zu sein.
Etwas schwindelig und mit flauen Mägen steigen wir endlich aus unserem Jeep aus. Ein Beduine in langem Gewand und einem weißen Tuch auf dem Kopf führt uns in den Schatten – einer Art Saal mit Holzbänken rings herum und einer offenen Seite. Kurze Zeit später kehrt der Beduine zurück mit einem Tablett mit kleinen Teetassen, die er an uns verteilt. Hamid erhält eine andere Tasse auf einem anderen Tablett. „Mit Zucker“, erklärt er uns, als wir nachfragen. Die Tees für die Touristen sind ungesüßt. „Europäer trinken den Tee doch nicht gerne so süß“, sagt Hamid wie zur Begründung. Einerseits stimmt es. In Hamids Tee ist so viel Zucker, dass er sich kaum auflöst. Andererseits hat die Sache mit dem Zucker einen kulturellen Hintergrund. Er gilt traditionell als kostbar. Wer seinen Tee mit viel Zucker trinkt, dem geht es gut. Wer seinen Gästen süßen Tee anbietet, ist ein großzügiger Gastgeber. Angesichts der sengenden Hitze sind wir jedoch ohnehin nicht erpicht auf die schwere Süße eines Tees nach ägyptischer Art.
Beziehungskisten: „Nimm dir doch eine zweite Frau“
Die Minuten verstreichen. Der Tee ist längst getrunken, aber noch immer warten wir auf den Beduinen, der uns das Dorf zeigen will. Hamid beginnt ein Gespräch, fragt, ob wir verheiratet sind, ob wir Kinder haben. Die beiden anderen Paare sind verheiratet, mein Freund und ich sind es nicht. Eines der anderen beiden Paare hat Kinder, das andere „übt noch“. Ja, das sei so eine Sache, sagt Hamid. Er selbst ist gerade erst seit einem Monat verheiratet, erzählt er uns lächelnd. Und er hofft, dass seine Frau und er bald ein Kind bekommen. Bei einem seiner Freunde habe sich dies als schwieriger heraus gestellt. Schon zwei Jahre sei er mit seiner Frau verheiratet, aber Nachwuchs wolle sich nicht einstellen. Wir nicken verständnisvoll – das kommt vor. „Waren die beiden schon bei einem Arzt?“, fragt die Frau, die „noch übt“. Hamid zuckt mit den Schultern, macht eine unsichere Handbewegung. Sein Freund, glaube nicht an Untersuchungen, sagt er schließlich. Wir kommen ins Stocken. Hamid bemerkt, dass seine Gruppe nicht recht weiß, was sie damit anfangen soll, daher spricht er weiter: „Wir haben ihm gesagt: Vielleicht ist ja deine Frau schuld, dass ihr keine Kinder bekommen könnt. Nimm dir doch noch eine zweite Frau, dann bist du auf der sicheren Seite.“ Etwas in mir hofft, dass Hamid einen Witz gemacht hat. Natürlich nicht, ich weiß es eigentlich bereits. In Ägypten kann ein Mann ganz unproblematisch bis zu vier Ehefrauen haben. Damit haben auch junge, moderne Ägypter wie Hamid kein Problem. „Ist seine Frau denn dann nicht sauer, wenn dein Freund eine zweite Frau heiratet?“ höre ich mich fragen. „Nein, nein!“ lächelt Hamid. Er hat eine seiner Meinung nach gute Erklärung parat, die Frage wird ihm öfter gestellt, gibt er zu. Denn die Regel ist die Folgende: Wenn ein Mann mehrere Ehefrauen haben möchte, muss er jeder von ihnen die gleiche Aufmerksamkeit zuteil werden lassen. Damit ist das Thema offenbar vom Tisch und ich sollte mich damit zufrieden geben. Aber …
Wir erhalten noch eine Runde ungezuckerten Tee. Unser Dorfführer ist noch mit einer Gruppe Quad-Fahrern unterwegs.
Ich bin plötzlich ganz froh über den Aufschub. Nun brennen mir ein paar Fragen unter den Nägeln.
„Und was ist mit einer starken Frau?“
„Warum darf eine Frau eigentlich dann nicht auch mehrere Ehemänner haben?“ frage ich Hamid. Nun muss er etwas weiter ausholen. „Nun, in unserer Kultur ist es sehr wichtig zu wissen, wer der eigene Vater ist“, sagt Hamid. Für einen Mann sei es von großer Bedeutung, woher er stammt. Wer der Vater des Vaters des Vaters ist und so weiter, er lächelt. Wenn nun die eigene Mutter mehrere Männer hätte, könnte man das ja unmöglich wissen. „Es gibt doch Vaterschaftstests!“ wirft eine andere Mitreisende ein. Wir drei Frauen haben unsere Blicke auf Hamid geheftet, unsere Partner starren größtenteils angespannt in ihren Tee. Hamid windet sich ein bisschen. Ja, aber, die Biologie. Die Natur hätte die Frau einfach nicht dafür vorgesehen, mehrere Männer zu haben. Das sei ja rein biologisch eigentlich gar nicht möglich. Ein Mann sei dafür stark genug. „Und was ist mit einer starken Frau?“ frage ich, versöhnlich lächelnd. Hamid nimmt den Faden dankbar auf und lacht herzlich auf. „Starke Frauen gibt es nicht“, sagt er schließlich. Ich lasse es dabei bewenden und lasse ungefragt, ob er körperliche Stärke oder Stärke an sich meint. Ich bin nicht hier, um zu urteilen.
Endlich geht es weiter. Ein junger Mann in westlicher Kleidung holt uns ab, um uns herum zu führen. Schnell wird klar, die geheimsten Geheimnisse der Beduinen werden wir hier nicht ergründen. Das Programm beginnt mit einem kurzen Ritt auf einem Kamel – für die Fotos. Wir machen gequält lächelnd mit, stecken dem Beduinen für den Kamelritt ein kleines Bagschisch zu. Dann kommen wir an einer Gruppe Frauen vorbei, die „zufällig“ gerade am Brot backen sind. Alle züchtig verschleiert und ganz in Schwarz. Es wird gefragt, ob jemand aus der Gruppe versuchen möchte, Brot zu backen. Ich melde mich. Nur, um die Frauen aus der Nähe betrachten zu können. Sie wirken unnahbar auf mich in ihren langen Schleiern. Da man nur die Augen sieht, wirken sie ungleich geheimnisvoller. Zu spät fällt mir ein, was für ein seltsames Bild das abgeben muss. Mit meinem bunten Tuch auf den blonden Haaren, fühle ich mich plötzlich etwas lächerlich.
Zum Brotbacken dient einzig ein kurzer Stock. Der Fladen wird damit zugleich geklopft und gerollt. Gerne würde ich das Mädchen zu meiner rechten Fragen, warum sie ihr Gesicht zeigt, aber die Frauen sprechen kein Englisch. Hektisch werde ich in ihrer Sprache angewiesen, wie ich das Brot zu behandlen habe, aber ich erweise mich offenbar als begriffstutzig. Nach einem kläglichen Versuch nimmt mir das Mädchen zu meiner Rechten das Brotwerkzeug aus der Hand und zeigt mir erneut wie es geht. Ich oute mich als schlechte Hausfrau, das wird mir schnell bewusst.
Angesichts der Tatsache, dass die Frauen hier gleichzeitig mit einem Stock Brot backen können, während sie ihre Kinder auf dem Schoß haben, erfasst mich eine Welle des Respekts. Die Frauen wirken sehr resolut, gleichzeitig elegant – oder habe ich den Eindruck deswegen, weil ich sie so geheimnisvoll finde unter ihren Schleiern? Das Adjektiv „schwach“ kommt mir bei den Frauen jedoch nicht in den Sinn. Sicher, sie fügen sich, offenbar. Sie harren unter den schwarzen Schleiern aus, sie backen Brot für uns Touristen, sie mühen sich damit ab uns verweichlichten Europäerinnen das Brotbacken zu zeigen. Aber ich bilde mir ein, dennoch eine gewisse Stärke zu fühlen im Kreise der Frauen. Sie wissen, was sie tun und sie sind gut darin. Innerhalb der Grenzen ihrer eigenen Welt, sind sie stark. Vielleicht eher im Verborgenen.
Nach etwa zehn Minuten bin ich erlöst. Ich lasse erneut etwas Bagschisch im eigens dafür aufgestellten Teller zurück und darf „mein“ Brot mitnehmen und essen. Inzwischen ist die Sonne bereits im Untergehen begriffen. Die roten Berge machen ihrem Namen alle Ehre: Erst die untergehende Sonne färbt sie tatsächlich rot. Es ist ein magischer Anblick.
Als wir uns wieder auf den Weg in Richtung des Jeeps machen, werfe ich noch einen letzten Blick auf das kleine Beduinendorf, über das sich allmählich die Nacht senkt. Jetzt, wo die Touristen allmählich zurück in die Zivilisation gebracht werden, macht sich eine ursprüngliche Stimmung breit. Hier, allein und unter sich, unter den leichten Böen voller Wüstensand, sieht es vielleicht ganz anders aus, als man uns Touristen erzählt. Wir wurden durch das Dorf geführt, doch hinter den Schleier der alten Kultur haben wir sicherlich nicht gesehen.
Auf dem Heimweg bleibt ein seltsamer Geschmack zurück. Eine kräftige Ladung Zucker im Tee hätte die Erfahrung vielleicht versüßt, aber den Geschmack gleichzeitig verfälscht. Wir haben von außen auf eine Welt geblickt, die schon lange in einer ähnlichen Form existiert und sicherlich noch lange so bleiben wird. Es gibt dort Anziehendes, Interessantes, magische Momente, aber auch viel Fremdes, Unverständliches – Dinge, mit denen man vielleicht geboren und aufgewachsen sein muss, um sie zu verstehen. Während Hamid im Jeep das Radio lauter stellt und eine melancholische arabische Weise mitsingt, bin ich ganz dankbar dafür, auf dem Weg zurück in eine Welt zu sein, in der sich Frauen „stark“ nennen dürfen, ohne dass das für einen Witz gehalten wird. Aber letztendlich kommt es wohl auf das an, was sich in den Gedanken, hinter den Schleiern, abspielt. Ich bin sicher, dass die Frauen, mit denen ich Brot gebacken habe, sich nicht für schwach halten. Vielleicht ist das ihr Geheimnis.
Toller Blog, liebe Christina 🙂
Hallo Caroline! Vielen Dank für das liebe Kompliment! Kann ich nur zurückgeben. 🙂