Mind Yoga and Buddhism

Ahimsa – Gewaltlosigkeit: Wie Du lebst, ohne anderen zu schaden

Ahimsa ist das oberste und vielleicht wichtigste Gebot auf dem Yoga-Pfad. Wörtlich übersetzt heißt es „nicht verletzen“. Es steckt jedoch weitaus mehr dahinter als der Verzicht auf körperliche Gewalt. Stoff für eine Monats-Challenge!

Vor langer Zeit gab es in Indien den Tempel der tausend Spiegel, dessen Wände über und über mit Spiegeln behangen waren. Eines Tages verirrte sich ein Hund in den Tempel und bekam Angst. Er knurrte und fletschte die Zähne, sein Fell stellte sich auf. Und er sah sich Tausenden von Hunden gegenüber, die das gleiche taten. In Panik ergriff der Hund die Flucht in der Überzeugung dessen, dass die Welt ein feindseliger Ort voller bedrohlicher Hunde sei.

Am nächsten Tag betrat ein anderer Hund den Tempel. In den Spiegeln sah er sich tausenden Hunden gegenüber, die aussahen wie er – und er freute sich über ihre Gesellschaft. Glücklich wedelte er mit seinem Schwanz und forderte die anderen Hunde zum Spielen auf. Tausende von Freunden taten das gleiche. 

(Verfasser unbekannt)

Es ist unschwer zu erkennen: Die Geschichte vom Tempel der Tausend Spiegel will uns sagen, dass unsere Welt immer genau so ist, wie wir sind. Begegnen wir ihr freundlich und umsichtig, ist sie es zu uns. Gehen wir um uns beißend und keifend durchs Leben, zeigt das Leben uns eben auch den Mittelfinger.

Ahimsa ist die oberste Tugend des Yoga-Weges und bedeutet „nicht verletzen“. Damit ist gemeint, dass wir durch unsere eigene Lebensweise weder Menschen noch Tiere, Natur oder Umwelt zu Schaden kommen sollen. Und auch nicht wir selbst.

Wenn Du jetzt denkst, dass das überhaupt nicht möglich ist … dann hast Du damit absolut recht. Ist es nicht. Wir können nicht jeder Ameise auf unserem Weg ausweichen, wir können nicht über eine Wiese laufen ohne das Gras zu zertreten und letztendlich können – oder sollten – wir uns auch einfach nicht alles gefallen lassen, wenn uns jemand Böses will.

Daher hat Ahimsa vor allem mit der Absicht zu tun, die wir in uns tragen. Das macht die ganze Sache aber trotzdem nicht gerade einfacher.

Das ist Gewalt im Sinne von Ahimsa

Nicht nur eine Ohrfeige ist Gewalt im Ahimsa-Sinn. Bereits die Absicht, jemanden verletzen zu wollen ist gewalttätig. Jemandem etwas Böses wünschen, jemanden anschreien, jemanden ungerecht kritisieren, mobben oder beleidigen. Jemanden erpressen, zu etwas drängen, negativ oder zum eigenen Vorteil beeinflussen, eifersüchtig machen, ausgrenzen oder über jemanden lästern – all das ist Gewalt im Sinne von Ahimsa. Auch sich selbst schaden gehört dazu: Drogen nehmen, schlechte Ernährung, zu viel Alkohol, Überarbeitung, zu viel Training, zu wenig Erholung oder auch negative Gedanken über sich selbst haben – all das ist gewalttätig. Und dann gibt es da noch die Umwelt, die wir auf diverse Arten verschmutzen und ausbeuten, geschweige denn von den Tieren, die leiden müssen, weil wir sie so gerne essen und sie aus Geldgier und „praktischem Nutzen“ unter schlimmsten Bedingungen ihr Leben fristen.

Du siehst wahrscheinlich schon – Ahimsa einzuhalten ist ein Mammutprojekt.

Positiv formuliert ist Ahimsa die Aufforderung liebevoll mit allen Lebewesen – Menschen und Tieren, der Umwelt und mit sich selbst umzugehen. Unser Handeln sollte daher geprägt sein von Mitgefühl, Toleranz, Freundlichkeit und am besten einer Prise Gelassenheit. Dann klappt Ahimsa.

Ein großer Meister von Ahimsa war z.B. Mahatma Gandhi, der sagte:

„Gewalt ist die Waffe des Schwachen, Gewaltlosigkeit die des Starken.“

Wer sich in Gewaltlosigkeit übt, wird tatsächlich stark. Je gefestigter wir in Ahimsa sind, desto größer ist unsere innere Stärke, die uns fest auf der Erde stehen lässt, selbst wenn der Sturm einmal wieder tobt.

Warum gibt es Gewalt überhaupt?

Warum aber tobt der Sturm eigentlich überhaupt? Ich kenne zumindest keinen Menschen, der Gewalt toll findet und nicht lieber in Frieden leben würde. Alle sehnen sich nach Frieden, aber trotzdem kehrt er nie ein. Warum?

Betrachten wir eine gewaltsame Situation genauer. Vielleicht erinnerst Du Dich an einen Moment, in dem Du richtig wütend warst, vielleicht sogar jemanden beleidigt hast. Wie sah es in Dir aus in diesem Augenblick? Wenn ich von mir selber ausgehe, dann kann ich sagen, dass mein Herz schneller schlägt, mir wird heiß mein Magen verkrampft sich, meine Stimme zittert. Ich pulsiere förmlich vor negativer Energie, die ich schnellstmöglich auf meinen „Widersacher“ abschießen möchte. Der mir … was eigentlich? … angetan hat. Möglicherweise wurden meine Gefühle verletzt, meine Meinung mit Füßen getreten, meine Wünsche grob missachtet oder mir wurde einfach auf eine andere mögliche Art „ans Bein gepinkelt“. Warum stört mich das eigentlich?

Nun, vielleicht, weil es einfach eine Art „Bedrohung“ für mich ist. Ich fühle mich angegriffen, möchte mich verteidigen. Oder jemand geht mir so gegen den Strich, dass ihm einfach gerne mal eine verbale Abreibung erteilen würde. Es geht um mich und meinen Standpunkt, wenn Du es so willst, fühle ich mich in meiner Existenz auf irgendeine Art und Weise bedroht. Das setzt mich unter enormen Stress.

Oder: Ich habe genau genommen Angst.

Du hast es sicher schon auf die ein oder andere Art irgendwo gelesen: Die Angst ist ein uraltes Ding, das früher, als wir mit Säbelzahntigern um unsere Beute streiten oder vor ihnen flüchten mussten, sicher noch um einiges praktischer war als heute. Heute haben wir auch dann Angst, wenn unser Leben eigentlich nicht unmittelbar bedroht ist. Unser Körper reagiert jedoch noch nahezu gleich. Die Situationen, die uns Angst machen, haben vielleicht sogar noch deutlich zugenommen.

Wir haben Angst zu versagen – im Job, in der Beziehung, im Leben. Nicht gut genug zu sein, nicht genug wert zu sein, nicht geliebt zu sein. Damit einhergehend fürchten wir vielleicht etwas falsches zu sagen, negativ aufzufallen, nicht eloquent genug zu reden, uns als „dumm“ zu erweisen, nicht genug zu leisten, Fehler zu machen … da ist die Liste lang.

Und dann kommen natürlich noch die „Lebensgefahr“-Ängste dazu. Angst davor krank zu werden, einen Unfall zu haben, Opfer eines Verbrechens zu werden …

All diese „Angst-Gründe“ könnten genauso gut ein Säbelzahntiger sein, der uns ans Leder will. Für unseren Körper und unseren Geist macht es fast keinen Unterschied. Wir geraten unser Stress, unser Körper setzt Energie frei und die muss dann irgendwo hin. Entweder wir richten sie gegen denjenigen, von dem die „Gefahr“ aus geht – und keifen, beleidigen, mobben, schreien, schlagen drauf los – oder wir richten sie gegen uns. Das Ergebnis davon wäre somit jede Art von selbstverletzendem Verhalten. Alkoholismus, exzessiver Drogenkonsum etc.

Es ist wichtig zu verstehen, was dahinter steckt – auch aus Selbstschutz. Nur, weil Du mal wieder ausgerastet bist, bist Du kein schlechter Mensch und hast in der Ahimsa-Lektion versagt. Gewalt ist das Ergebnis von etwas – von Angst. Du hast die „Angst-Energie“ nur destruktiv genutzt. Weil Du es einfach nicht besser wusstest in der akuten Situation. Das ist menschlich.

Und das gilt natürlich auch für die anderen. Wenn Deine launische Kollegin mal wieder ihre Krallen an Dir wetzen will, tut sie das ziemlich wahrscheinlich nicht, weil sie morgens aufgestanden ist und sich dachte „Heute ist ein guter Tag um meine Kollegin zur Schnecke zu machen“. Irgendwo ist da einfach Angst. Mit diesem Wissen flackert vielleicht beim nächsten solchen Vorfall ein kleines Flämmchen Mitgefühl in Dir auf. Vielleicht tangiert Dich das Ganze dadurch sogar bereits viel weniger.

Eine Erkenntnis, die Dir helfen kann

Im Yoga und Ayurveda geht es im tiefsten Kern um die eine ewige Wahrheit: Alles ist verbunden, alles ist eins. Unser Selbst – vielleicht auch unsere „Seele“ – ist ewig und unverletzlich. Egal, was uns im Leben widerfährt – unser Selbst bleibt davon unberührt. Denn unser Selbst ist „Gott“, „Universum“, „ewige Energie“ – was auch immer dich davon anspricht. Unser Selbst ist der göttliche Funke, der in jedem von uns wohnt und dem nichts Schlimmes widerfahren kann. Dieses Selbst ist nicht das gleiche wie das „Ich“, das „Ego“. Wer nach Erleuchtung strebt, versucht eigentlich dieses „Ego“ zu überwinden, aber wir hängen in der Regel sehr daran. Das „Ego“ ist, das, wovon wir denken, dass es uns definiert. Ich bin Christina (schon der Name allein), eine Frau, Ende 20, Deutsche, Redakteurin und Bloggerin, Schwester, Tochter, Verlobte, Katzenmama … und immer so weiter.

Wenn wir uns angegriffen oder verletzt fühlen, dann betrifft dieses Gefühl immer das Ego, nicht das Selbst. Das Selbst ist schließlich „mit allen eins“. Wer das Selbst eines anderen angreifen würde – selbst wenn das möglich wäre – der würde auch sein eigenes Selbst angreifen.

Leider reagiert unser Ego auch ziemlich empfindlich auf solche „Affronts“. Aber nicht nur das. Es verlangt auch viel von uns. Um glücklich zu werden, wollen wir Dinge. Wollen wir so oder so sein. In Prinzip geht es auch hier immer um die Frage „Wie bin ich?“, „Was definiert mich?“,  „Wie erscheine ich?“, „Was gehört zu mir?“ – und was bzw. wie nicht?

Letztendlich liefert das Stoff für die beste Tragödie. All unsere Vorlieben und Abneigungen schlagen sich in sogenannten Glaubenssätzen nieder.

Das darf nicht passieren.

Ich muss so und so werden.

Ich muss X schaffen.

Dass darf niemand über mich erfahren.

Das ist falsch.

Das brauche ich.

Unser „Ich“ ist voll von solchen Glaubenssätzen, Richtlinien, Regeln – oder auch Fallstricken. Immer wenn ein solcher Glaubenssatz verletzt, berührt oder wie auch immer getriggert wird, gipfelt das entweder in einem (meist nur kurzfristigen) Glücksgefühl oder in einer Art Vermeidungsverhalten. Oft in Form von Gewalt im Sinne von Ahimsa.

Wir definieren uns und die Welt um uns herum also letztendlich selbst. Es ist wie bei den Hunden im Spiegeltempel: Die Spiegel – also die Welt – zeigt uns das, was wir ihr zeigen.

Was Dir Gewaltlosigkeit bringt

Möglicherweise bist Du noch nicht wirklich überzeugt – verstehe ich. Der Yoga, Ayurveda – auch der Buddhismus, warnt uns davor „anzuhaften“. Wir sollen uns an nichts hängen. Keine Dinge, keine Menschen, nichts. Das klingt nun im ersten Augenblick ziemlich freudlos.

Letztendlich geht es aber vor allem um die innere Haltung, die wir allem gegenüber einnehmen. Innerer Frieden schafft äußerer Frieden, wie innen, so außen. Du kannst Dir in Deinem nächsten Urlaub Stress machen, weil Du dringend noch hübsche Bikinifotos bei perfektem Licht für deine Instragram-Community machen musst – oder Du genießt einfach den Moment, legst die Füße hoch und knipst den perfekten Moment einfach dann, wenn er sich zufällig bietet (oder lässt es einfach mal ganz). Du kannst Dir die Laune davon verderben lassen, dass Dir der neueste Trend nun mal einfach nicht steht oder Du kaufst direkt die Klamotten, in denen Du Dich wohlfühlst und pfeifst darauf, was gerade angeblich ein „Must-have“ ist. Du kannst Deinen Freund bedrängen, dass er Dir gefälligst öfter Blumen schenken soll (wie es der Freund der Arbeitskollegin immer so vorbildlich tut) oder  Du kannst ihn für die Liebesbeweise lieben, die er Dir macht.

Du siehst also: Du musst eigentlich auf nichts wirklich verzichten. Der „Lohn“ für Ahimsa ist vielmehr eine innere, friedlichere, Einstellung, die Dich alles einfach etwas mehr genießen lässt. Und wer mit sich und der Welt in Frieden lebt, ist nebenbei auch einfach nicht so leicht aus der Bahn zu werfen und zu stressen. „Gewalt“ von anderen trifft dann auch einfach nicht so sehr.

Praktische Tipps – So geht Ahimsa im Alltag

Genug von der Theorie – was kannst Du nun also konkret tun? Vielleicht sogar diesen Monat verstärkt?

  1. Selbstbeobachtung: Gönne Dir mal ein paar Tage der Selbstbeobachtung. Wann reagierst Du verletzt? Wann fühlst Du Dich angegriffen? Oder: Wann teilst Du aus oder sagst Dinge, die Du im Nachhinein lieber doch nicht gesagt hättest? Lästerst Du viel? Schau auch auf Deine Gewohnheiten: Ernährst Du Dich gesund? Trinkst Du viel Alkohol? Wo überforderst Du Dich? Als gedanklicher Anker kann Dir vielleicht das Zähneputzen am Morgen und am Abend dienen. Beim morgendlichen Zähneputzen erinnerst Du Dich an Deine „Mission“ und abends reflektierst Du die „Studienergebnisse“ des Tages.

2. Weniger verletzen

Nun geht es ans Eingemachte. Die Erkenntnis ist ja gut und schön. Aber was kannst Du konkret tun, um mehr Ahimsa in Deinen Alltag zu bringen. Es gibt einige Möglichkeiten:

  • Versuch‘ das Lästern einzudämmen. Wenn Deine Lieblingslästerschwester Dich zum Tratsch einlädt, versuche zu widerstehen. Oder suche nach positiven Dingen, die Du entgegensetzen kannst.
  • Versuche weniger Fleisch zu essen. Heikles Thema – I know. Ich selbst bin keine Vegetarierin (mehr), aber im traditionellen Sinn steht Yoga für eine vegetarische Ernährung. Wenn Dir das zu radikal ist, lohnt es sich dennoch, bewusst auf den eigenen Fleischkonsum zu schauen. Wo kommt das Fleisch her, das ich esse? Muss ich wirklich so viel Fleisch essen wie ich es gerade tue oder könnte ich den Konsum einschränken?
  • Mach‘ Dich weniger runter. Wenn Du ein Mensch bist, der sehr hart mit sich ins Gericht geht, schnapp‘ Dich selbst öfter am Schlafittchen, wenn Du Dich wieder selber runtermachst und sage stattdessen etwas Positives zu Dir.
  • Sei absichtlich besonders nett zu jemandem, den Du eigentlich nicht leiden kannst. „Lächelnd zeigt man seinem Feind die Zähne“ sagt mein Vater immer und es stimmt. Wenn Dir jemand blöd kommt, erinnere Dich daran, dass Gewalt von Angst herrührt und versuche mitfühlend zu sein.
  • Gönn‘ Dir eine Pause. Wenn Du merkst, dass Du ständig an die Arbeit denkst. Wenn Du merkst, dass Du Dir in Sachen Training gerade echt viel abverlangst – chill mal! Aber mit Genuss und voller Absicht. Lass‘ Dir ein Bad ein, schnapp‘ Dir ein gutes Buch, koch‘ dir was Feines, meditiere. Hauptsache Du entspannst.
  • Versuche Gewalt in den Medien zu vermeiden. Klar – wir können nicht einfach die Augen verschließen vor dem, was Schlimmes in der Welt passiert. Wir müssen uns aber auch nicht ständig damit belasten. Ich als Journalistin weiß nur zu gut, dass die schlimmen Nachrichten immer deutlich häufiger gelesen werden, als die Guten. Deswegen sind die Medien mitunter voll von Hiobsbotschaften, Katastrophen, Verbrechen – es ist das, was die Menschen tatsächlich lesen „wollen“. Dazu zählen nicht nur Schreckensnachrichten. Auch Gewalt in Filmen, Büchern oder Serien können wir eine Zeit lang einfach mal versuchen zu vermeiden.
  • Versuche so gut wie möglich auf Plastik zu verzichten. Stofftüten, statt Plastiktüten. Eigene Kaffeebecher statt die Kaffee-to-go-Becher – es gibt viele Möglichkeiten, den eigenen Plastikverbrauch einzudämmen.
  • Überhaupt: Weniger Müll produzieren. Wer sich auf diese Aufgabe fokussiert, findet einige Möglichkeiten, Müll einzusparen. Außerdem: Was besonders viele Umverpackungen benötigt, ist meistens ohne hin nicht wirklich frisch …

Was fällt Dir noch ein?

Ein tolles Ergebnis nach einem Monat intensiver Ahimsa-Praxis wäre es, wenn wir unseren „Mitgefühls-Muskel“ ein bisschen trainiert hätten, etwas friedvoller und nachsichtiger wären. Etwas mehr Verantwortung für unsere Umwelt und unsere Mitmenschen übernommen hätten. Etwas mehr Liebe in unser Leben gezogen hätten.

Gandhi bringt es mal wieder auf den Punkt:

„Liebe ist ein seltenes Kraut, das selbst den geschworenen Feind zum Freund macht, und dieses Kraut erwächst aus der Gewaltlosigkeit.“

 

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